Das Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz

Heute las ich in Henryk Broders neuem Buch „Das ist ja irre“ zum ersten mal etwas über ein Gesetz, das den irren Namen
Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz
(Kurzform BwAttraktStG) trägt. Zunächst dachte ich, Broder hätte sich den Namen nur ausgedacht, um Ursula von der Leyen lächerlich zu machen, aber ich mußte dann nach einem Blick auf Wikipedia akzeptieren: dieses Gesetz gibt es wirklich.

Bevor wir auf die eigentliche Absurdität dieses Gesetzes zu sprechen kommen (die mit seinem Namen nur entfernt zutun hat), möchte ich betonen, daß das BwAttraktStG keinesfalls die Spitze des Eisbergs der Verrücktheiten aus der Fachsprache der Verwaltungsjuristen darstellt. Da gibt es noch ein paar Stufen höher Bezeichnungen wie

Das Absurde an diesem BwAttraktStG ist aber nicht der Name, sondern sein Zweck und der Zeitpunkt seines Inkrafttretens (23.Mai 2015). Denn wodurch wurde die öffentliche Diskussion über die Bundeswehr in den Monaten zuvor bestimmt?
Es waren

  • das G36-Sturmgewehr, das bei Erwärmung durch Dauerfeuer wie auch bei wechselnden Außentemperaturen gerne mal daneben schießt,[15]
  • Hubschrauber des Typs NH90, die Triebwerksprobleme hatten und notlanden mußten,[14]
  • Maschinengewehre des Typs MG3, die Rissbildungen in den Blechgehäusen bekamen, so daß dieser Typ nun durch ein neues Gewehr, das MG5 von Heckler&Koch, ersetzt werden soll, [12]
  • 1215 MG5, die man im März 2015 bei Heckler&Koch bestellt hatte(für schlappe 20 Millionen Euro, insgesamt sollen es 200 Millionen werden), doch schon jetzt gibt es Beschwerden über die Schießgenauigkeit, [13]
  • das Scharfschützengewehr G22: da beschwerte sich die Bundeswehr über die geringe Lebensdauer der Originalläufe, [12]
  • der Schützenpanzer Puma: der sollte mal so stark gepanzert sein wie ein Kampfpanzer, dann hätte er aber 50 bis 70 Tonnen gewogen und wäre somit zu schwer für einen Lufttransport ins Ausland gewesen, also mußte er nachträglich abgespeckt werden, [11]
  • der Kampfjet „Eurofighter“: bei ihm werden regelmäßig alle paar Monate schwerwiegende Probleme bei der Produktion gemeldet, [10]
  • die Gefechtshelme, bei denen ’ne Schraube locker war [9].

Ursula von der Leyen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (beachten Sie in den folgenden Gesetzesauszügen die Auswüchse von geschlechtergerechter Sprache!) täten also gut daran, die Ausrüstung der Bundeswehr zumindest so weit zu verbessern, daß das Gerät bei einer Vorführung anläßlich des Empfangs eines Staatspräsidenten aus dem Ausland einigermaßen funktioniert.

Statt dessen aber tritt am 23.Mai 2015 das Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz in Kraft, das in der

Verordnung über die Teilzeitbeschäftigung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (Soldatinnen- und Soldatenteilzeitbeschäftigungsverordnung – STzV)

den Antrag auf familienbedingte Teilzeitbeschäftigung neu faßt.

In der alten Fassung sah der erste Teil dieses Antrags so aus:

Mit der Antragstellung ist darzulegen, dass mindestens ein Kind unter 18 Jahren oder eine pflegebedürftige sonstige Angehörige oder ein pflegebedürftiger sonstiger Angehöriger tatsächlich zu betreuen oder zu pflegen ist. Die Pflegebedürftigkeit einer oder eines sonstigen Angehörigen ist durch ein ärztliches Gutachten nachzuweisen.

Und was ist daraus geworden, nachdem Ursula sich das angesehen hat? Dieses:

„(1) Im Antrag auf familienbedingte Teilzeitbeschäftigung (§ 30a Absatz 1 Satz 2 des Soldatengesetzes) ist darzulegen, dass mindestens ein Kind unter 18 Jahren, eine pflegebedürftige sonstige Angehörige oder ein pflegebedürftiger sonstiger Angehöriger tatsächlich zu betreuen oder zu pflegen ist. Teilzeitbeschäftigung zur Betreuung oder Pflege mindestens eines Kinds unter 18 Jahren kann von beiden in einem Wehrdienstverhältnis stehenden Elternteilen beantragt werden. Beantragt werden kann eine anteilige, jeweils alleinige oder gemeinsame Teilzeitbeschäftigung.“

Na also! Der Nachweis der Pflegebedürftigkeit durch ein ärztliches Gutachten war doch reine Schikane des Gesetzgebers! Und das schöne ist jetzt ja auch, daß gleich beide, die Soldatin und der Soldat (die entweder schlicht verheiratet sind oder in einer Lebenspartnerschaft leben), auf Teilzeit gehen können. Eine saubere Lösung! Nur eins fehlt da noch:

Dürfen auch 2 lesbische Soldatinnen, die ein adoptiertes Kind gemeinsam erziehen, eine Teilzeitbeschäftigung zur Betreuung oder Pflege dieses Kindes beantragen?

Anscheinend nicht, sonst hätte man diese Möglichkeit im neuen Gesetz erwähnen müssen. Schlimm, da werden ja Menschen ausgegrenzt! Das wäre doch eine gute Möglichkeit für die GRÜNEN, einen Antrag auf Erweiterung des BwAttraktStG im Bundestag einzubringen.

Nehmen wir ein weiteres Beispiel: wer als Angehöriger gilt, den man in der Teilzeit betreuen darf, wird genauestens festgelegt. In der alten Fassung der STzV (falls Sie nicht mehr wissen, was damit gemeint ist: Soldatinnen- und Soldatenteilzeitbeschäftigungsverordnung) fallen darunter z.B.

Ehepartnerinnen und Ehepartner der Geschwister und Geschwister der Ehepartnerinnen und Ehepartner

Aber nur diese. Das aber mißfiel der Verteidigungsministerin und ihren Helfern aus den diversen Amtsstuben, denn da fehlten doch eindeutig die Lebenspartnerinnen und Lebenspartner! Was wurde also im neuen Gesetz aus dieser alten Passage?

Ehepartnerinnen und Ehepartner der Geschwister, Lebenspartnerinnen und Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehepartnerinnen und Ehepartner und Geschwister der Lebenspartnerinnen und Lebenspartner“

Wunderbar! Jetzt kann z.B. eine lesbische Soldatin, die mit einer bisexuellen Soldatin verLebensPartnert ist, deren behinderten schwulen Bruder betreuen. Montags bis mittwochs schießt sie mit dem G36 und verbrennt sich dabei die Hände, den Rest der Woche ist sie „auf Teilzeit“ und ärgert sich über den 2. Partner ihrer bisexuellen Lebenspartnerin, der in der freien Wirtschaft arbeitet und keine Zeit zur Betreuung des behinderten Bruders hat.

Wenn das nicht ungerecht ist!

Aber eigentlich sollte die Bundeswehr ja in der Lage sein, die Bundesrepublik Deutschland bei einem Angriff von außen zu verteidigen. Verfolgt man die Meldungen über Serien von Ausrüstungspannen bei Panzern, Sturmgewehren und Hubschraubern (um nur mal drei zu nennen!) und schaut sich dann dieses
Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz an, so könnte man wie Henryk M.Broder auf die Idee kommen, die Bundeswehr gleich ganz abzuschaffen:

Man könnte sie natürlich auch abschaffen, das Verteidigungsministerium auflösen, und durch einen Anrufbeantworter ersetzen: „Liebe Angreifer, bitte beachten sie, wir haben soeben kapituliert. Machen Sie es sich bequem und achten Sie bitte auf Ihren CO2-Fußabdruck.“

Anmerkungen und Links

[1] Henryk M. Broder: Das ist ja irre! Mein deutsches Tagebuch
[2] Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz
[3] Rindfleisch­etikettierungs­überwachungs­aufgaben­übertragungs­gesetz
[4] Der SPIEGEL: Beschluss im Schweriner Landtag: Längstes Wort Deutschlands hat ausgedient
[6] Bremer Sprachlog
[7] Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaftsgesetz – VIFGG
[8] Vermögenszuordnungszuständigkeitsübertragungsverordnung – VZOZÜV
[9] Gefechtshelm hat ’ne Schraube locker
[10] Rüstungsprojekt der Bundeswehr: Neue Mängel beim Kampfjet „Eurofighter“
[11] Zwölf Gründe, warum Bundeswehrprojekte so oft schiefgehen
[12] Probleme mit Bundeswehr-Waffen: Das G36 ist nicht allein
[13] Neues Maschinengewehr MG5
[14] Noch mehr Ärger mit dem Militärhubschrauber
[15] Bundeswehr erwägt Modernisierung des G36

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Eine Antwort zu Das Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz

  1. caruso schreibt:

    Ich möchte wissen, warum die in D erzeugte Waffen so begehrt sind. Und auch, warum die Waffenhersteller D nicht als Ausland betrachten. Dann würde sich die Qualität um etliches verbessern. Oder? — Die deutsche Beamtensprache ist… verstehen die Beamten selbst, was sie da verzapfen? Bis man am Ende eines so endlos langen Wortes ankommt, vergißt man den Anfang. — Ich habe Broders Buch gelesen. Man weiß nicht, soll man lachen oder weinen oder beides zugleich an diese Sammlung menschlicher Dummheit, Kurzsichtigkeit, Charakterlosigkeit, Unwissenheit und was alles noch so schöne Sachen gibt. — Ich bin keine Deutsche, also könnte es mir egal sein. Leider ist es nicht. Und bei uns in Österreich ist es auch nicht besser. Im Gegenteil, und ein wenig anders. — Danke für den sehr guten Beitrag!
    lg
    caruso

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