Achse des Guten: Hannes Stein preist die Beschneidung von Jungen

Hannes Stein, auf der Achse des Guten einer jener Autoren, die mit gelegentlichen Reiseberichten aus den USA ihre Weltläufigkeit beweisen wollen, schreibt nicht nur langweilige Bücher („Immer Recht haben! Der endgültige Ratgeber “ oder „Tschüss Deutschland!: Aufzeichnungen eines Ausgewanderten“), sondern setzt sich gemeinsam mit der islamistischen „Gemeinschaft Milli Görüs“ für eine Beibehaltung, besser noch weltweite Verbreitung der Beschneidung von Männern ein [9]. Damit wir uns richtig verstehen: gemeint ist

jenes absurde religiöse Ritual, bei dem am 8.Tage nach der Geburt im Beisein der lieben Verwandtschaft dem männlichen Säugling die Vorhaut abgeschnitten wird.

Diese Praxis männlicher Genitalverstümmelung wird auch von Muslimen durchgeführt, auch hier meist schon bei gerade Geborenen, in manchen Ländern wie der Türkei auch erst bei Jugendlichen.

Das Begründungsniveau für die männliche Genitalverstümmelung ist unterschiedlich. So schreibt etwa der zum christlichen Spektrum der Israelfreunde gehörende „heplev“ in einem Kommentar:

Warum sollen Jungs beschnitten werden? Weil’s in der Torah befohlen ist.

Ähnlich differenziert antwortet ein sich „turkey“ nennender Kommentator auf den Artikel von Claude Jaermann [5]

Da wird einem ja echt schlecht vom dem ganzen Gejammer hier! Als Moslem muss man beschnitten sein. Basta! Das ist Pflicht. Das muss auch wehtun. Nur wenns wehtut wird man ein richtiger Mann. Mein Sohne wird klar beschnitten. Klar hat er angst und es wird richtig wehtun. Bei mir hats auch wehgetan. Nachher wird gefeiert. Er ist der König und es gibt Geschenke. Da ist ihm der Schmerz scheißegal.

Von diesem „Basta-Gerede“ unterscheidet sich die Argumentation von Hannes Stein nur scheinbar.
Er erklärt auf Welt-Online, warum er diese spezielle Form der Kinderschändung (nichts anderes ist die Beschneidung von Neugeborenen, siehe [12] ) befürwortet: die Beschneidung sei zwar in „grauer Vorzeit“ schon von Juden praktiziert worden, aber jetzt, in unserer aufgeklärten Neuzeit, sage uns die Medizin, daß das Abschneiden der Vorhaut aus präventiven medizinischen Gründen eine gute Sache ist.

So meint Achse-Autor Stein z.B., die Zunahme der Beschneidungen in den USA nach dem 2.Weltkrieg sei darauf zurückzuführen, daß die Soldaten in Nordafrika die Intimhygiene „auf betrübliche Weise“ vernachlässigten und deshalb massenhaft an schmerzhaften Infektionen erkrankten: Die Militärärzte verordneten daraufhin eine Radikalkur, die Beschneidung.

Abgesehen davon, daß der Autor jeden noch so kleinen Hinweis auf eine Quelle für diese Behauptung schuldig bleibt: diese angebliche „Radikalkur“ war weder eine Kur noch eine sinnvolle medizinische Maßnahme. Wer sich für Details interessiert, findet zum Thema Hygiene/Beschneidung bei [5],[7], [2] und insbesondere im deutschen Ärzteblatt [4] genügend Belege dafür, daß „Hygiene“ ein ganz schlechtes Argument für die Beschneidung ist.
Auf [14] findet man den Beleg dafür, daß Stein gar keine Quelle für seine Behauptung haben kann:

1945 wurden bereits rund 70%-80% der männlichen weißen Neugeborenen routinemäßig beschnitten.
Siehe: http://www.cirp.org/library/statistics/USA

Bereits um 1930 betrug die Beschneidungsrate der in US-Amerikanischen Krankenhäusern geborenen Jungen um die 90%; Jungen allerdings, die zu Hause auf die Welt kamen, entkamen der Beschneidung.

Jeder aufgeklärte Mensch, dessen Gehirn nicht von irgendwelchen religiösen „Befehlen“ vernebelt ist, könnte sich aber auch ohne den Blick auf Studien zu werfen fragen: warum war man nicht schon früher auf den Gedanken einer „Radikalkur“ gekommen? Statt sich regelmäßig zu waschen, kann man sich doch einfach das Ding da unten wegoperieren lassen, es kostet zudem wenig (in den USA so um 100-200$). Wenn man die lebenslange Ersparnis an Seife, Wasser und Handtüchern dagegen rechnet, lohnt sich das direkt. Und überhaupt – ist die Vorhaut erst mal weg, sinkt die HIV-Ansteckungswahrscheinlichkeit, die Frauen werden besser vor Infektionen geschützt und nicht zu vergessen: alles ist dann viel geiler. Spinnen wir den Gedanken weiter: Skalpieren wäre auch keine schlechte Idee, weil man sich dann ja die Haare nicht mehr zu waschen braucht. Nur die Friseure hätten dann nichts mehr zu tun – aber die könnten dann als Skalpteure arbeiten. Und wenn wir grad bei der Vorsorge sind: warum nicht gleich nach der Geburt die Mandeln, den Blinddarm und später im Alter von 5 Jahren das ganze Gebiß entfernen lassen?

Beschneidung von Jungen, so suggeriert der Artikel des Achse-Autors Stein, ist also schon aus rein medizinischen Gründen geboten. Wer es nicht macht, nimmt billigend in Kauf, später als Erwachsener seine Sexualpartnerinnen mit üblen Infektionen anzustecken. So was nennt man Körperverletzung. Und dagegen könnte man ja etwas tun, z.B. eine Gesetzesinitiative zur Einführung der Zwangsbeschneidung in den Bundestag einbringen. Als Vorsitzenden einer Ethik-Kommission, die die Regierung in Sachen Beschneidung berät, könnte ich mir z.B. Bekir Alboga, den Beauftragten für den interreligiösen Dialog der türkischen Religionsbehörde Ditib, vorstellen. Und als Stellvertreter vielleicht Hannes Stein.

(Foto links von Chesdovi) Nachdem die Sachlage für den Welt-Online-Schreiber also völlig klar ist, kommt er auf die Gegner der Beschneidung zu sprechen. Angesichts der „Studien“ kann man es eigentlich gar nicht glauben, daß irgendjemand gegen die Beschneidung ist. Und doch – es gibt sie, die Leugner der Wahrheit, diese verstockten Lügner und Nörgler. Wer sind sie? Woher kommen sie? Hannes Stein weiß es: es sind die Antisemiten und ein paar Juden, die gegen ihre eigene Tradition sind. Und damit wir nicht glauben, daß nur rechtsradikale Antisemiten so dumm sind, daß sie den Nutzen der Beschneidung nicht einsehen, erzählt er uns erst mal was über „Juden gegen die eigene Tradition“. Das sind also Juden, die der eigenen Tradition kritisch gegenüberstehen. „Mit Verve“, wie Stein es ausdrückt. Leider verrät er uns in seinem Artikel nicht, welche Juden das eigentich sind und wo wir etwas über sie nachlesen können [7]. Es ist eben die Kunst des Weglassens, ohne die manche Leute bei der „Beweisführung“ ihrer absurden Theorien nicht auskommen.

Da Stein uns verschweigt, wo wir original etwas mehr über diese Juden erfahren können, googeln wir ein wenig und finden auch ganz schnell das Jewish Circumcision Resource Center [7]. Auf deren Website steht folgendes:

Wir sind eine Gruppe gebildeter und aufgeklärter Juden, für die die barbarische, primitive Folterungs- und Verstümmelungspraxis der Beschneidung keinen Platz im modernen Judentum hat.

Das klingt doch gut. Besser wäre es noch, wenn es von Muslimen ähnliche Aussagen gäbe. Für Hannes Stein jedoch sind das „schrille Töne in der Debatte“, zumal „viele Gegner die Beschneidung von männlichen Säuglingen mit der ‚Beschneidung‘ von Mädchen gleichsetzen“.
Viele Gegner – welche denn? Wieviele? Auch diejenigen, die das Jewish Circumcision Resource Center unterstützen? Das unterstellt Stein hier ganz klar. Aber es ist nicht wahr, wie man auf der Website des Jewish Circumcision Resource Center nachlesen kann. Stein mag deren Position nicht, und deshalb behauptet er einfach das Gegenteil. So diffamiert man auch politische Gegner, indem man ihnen offensichtliche Dummheiten unterstellt.

Steins Leser wissen jetzt also: es gibt in Amerika ein paar Juden, die gegen die Beschneidung sind, aber die debattieren „mit schrillen Tönen“ und setzen die Beschneidung von männlichen Säuglingen mit der ‚Beschneidung‘ von Mädchen gleich. Ernst nehmen kann man die also schon mal nicht. Aber es kommt noch schlimmer:


In San Francisco sind die Schützer der Vorhaut ihrem politischen Ziel jetzt einen wichtigen Schritt näher gerückt. Bei den nächsten Wahlen im November soll unter anderem über ein Gesetz abgestimmt werden, das Beschneidung für illegal erklären würde. Wer gegen das Gesetz verstößt, würde 1000 Dollar Strafe zahlen oder ein Jahr lang einsitzen müssen. Ausnahmen für religiöse Gruppen soll es nicht geben.

Da wagen es doch tatsächlich die Kalifornier, diese „Schützer der Vorhaut“, über ein solches Gesetz abzustimmen. Wäre Hannes Stein Nachfolger von Gouverneur Arnold Schwarzenegger, so wäre so ein Gesetz gar nicht erst zur Abstimmung gelangt. 1000 Dollar Strafe! Wie kann das sein? Für das bißchen Genitalverstümmelung, für das von den Eltern und Gott gewünschte Entfernen der Vorhaut eines Säuglings? Und Ausnahmen für religiöse Gruppen soll es nicht geben? Wie schrecklich! Zur Verhinderung neuer Nazi-Gesetze werden Moslems und orthodoxe Juden wohl bei den Wahlen im November an einem Strang ziehen. Und Achmadineschad wird ihnen aus dem fernen Teheran eine Spende schicken und versprechen, bei der nächsten Rede vor der UNO-Vollversammlung gegen die ungerechte Unterdrückung der Beschneidung zu wettern.

Aber im Ernst: Stein lügt uns hier etwas vor, und zwar indem er verschweigt, was die Befürworter dieser Initiative dazu sagen. So lesen wir auf der Website der „Juden gegen Beschneidung“ ([7]) zu diesem Gesetz:

Viele Leute behaupten, dieses Gesetz wäre antisemitisch und antimuslimisch. Das ist einfach nicht wahr. Alle Babies haben ein Anrecht auf genitale Unversehrtheit und Selbstbestimmung über ihren Körper. Niemand hat das Recht, den Körper eines Kindes ohne medizinische Notwendigkeit zu ändern, auch nicht aus religiösen Gründen. Religiöse Freiheit gibt niemandem das Recht, den Körper eines anderen Menschen zu verstümmeln, erst recht nicht, wenn es sich um Kinder handelt.

Doch nicht nur Juden, die „gegen die Tradition sind“ (Genitalverstümmelung als Tradition? Welches Verständnis von Tradition hat Stein?), sondern selbstredend auch die echten Antisemiten hätten etwas gegen den schönen Brauch der Beschneidung.“Im Zentrum der Bewegung“ stehe ein gewisser Matthew Hess (sic!). Stein spricht mit Absicht von einer „Bewegung“. Der Führer dieser „Bewegung“, so suggeriert uns Stein, ist ein Herr Hess. Der habe einen Comic entworfen, in welchem – typisch jüdisch! – sich blutrünstige Mohels über wehrlose Kleinkinder beugen und denen das Blut aussaugen.

Das, lieber Hannes Stein, ist nichts als dümmliche Hetze gegen eine „Bewegung“, die es so gar nicht gibt. Im Gegenteil: als Gegner der Beschneidung entpuppen sich unterschiedlichste Teile der Gesellschaft. Juristen, Juden, Mediziner, Politiker und Journalisten führen in den Staaten eine heftige Diskussion über den Sinn und Unsinn der Verstümmelung von Kindern aus religiösen Gründen. Besagter Hess steht auch nicht im „Zentrum der Bewegung“, und die Autoren von jewishcircumcision.org ([7]) haben sich erheblich differenzierter und intensiver als Stein mit dem Comic von Hess auseinandergesetzt.

Der Artikel von Hannes Stein auf Welt-Online zeigt deutlich, daß der Autor krampfhaft auf der Suche nach Argumenten für das Weiterleben einer „Tradition“ ist, mit der archaische Blutelemente aus der Schlachtopferzeit vom demokratischen Rechtsstaat erlaubt und sogar geschützt werden <[12]. Unabhängig von einer medizinischen Indikation, für die es gute Gründe geben kann, nicht aber die von Hannes Stein angeführten, besteht allerdings nicht die geringste Notwendigkeit für die Beibehaltung dieser sog. „Tradition“. Im Gegenteil: ein nicht unerheblicher Teil deutscher Juristen ist der Meinung, daß

den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, 223 Abs. 1 StGB“ erfüllt, wer „an einer anderen Person eine Zirkumzision vornimmt“.
[2]

Wohlgemerkt: es geht uns hier nicht um den Wunsch eines erwachsenen Menschen, sich einen Teil seines Körpers entfernen zu lassen, sondern um Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen, z.B. erst wenige Tage alte Babies.

Der Bochumer Jurist Holm Putzke hat zusammen mit den beiden Kinderchirurgen Hans Georg Dietz und Maximilian Stehr von der Münchner Kinderklinik in einem Artikel im Deutschen Ärzteblatt alle Argumente zusammengefaßt, die gegen einen solchen Eingriff sprechen. Putzke, die beiden Kinderchirurgen und inzwischen eine Vielzahl renommierter deutscher Juristen vertreten die Ansicht, daß

der Schaden bei einer Zirkumzision im irreversiblen Verlust von Körpersubstanz (liegt). Manche halten den Verlust der Vorhaut allerdings für unbedeutend, weil der Vorhaut keine Funktion zukomme (5). Eine solche Sicht ist nicht überzeugend, weil es sehr wohl Funktionen gibt, die die Vorhaut erfüllt (1). Fehlt sie, wird etwa die Eichel nicht mehr feucht gehalten, ist vielmehr ständig einer trockenen äußeren Umgebung ausgesetzt – weswegen die Empfindungsfähigkeit abnimmt (6).

Bedacht werden müssen zudem mögliche Risiken einer Zirkumzision. Schwere Komplikationen (zum Beispiel eine Harnröhrenfistel) sind sicherlich selten, kommen aber gerade nach nicht ärztlich durchgeführten Beschneidungen vor. Komplikationen, die ohne Verschulden des Operateurs auftreten, sind dagegen viel häufiger und müssen dementsprechend gewürdigt werden: In bis zu 32 Prozent werden Meatusstenosen nach Neugeborenenzirkumzisionen beobachtet (1). Schließlich sind die möglichen psychischen Auswirkungen zu berücksichtigen: Es gibt Hinweise darauf, dass ältere Kinder den Eingriff als Angriff wahrnehmen, der dem Körper Schaden zufügt (7). Selbst bei Feten ist Schmerzempfinden vorhanden, spätestens ab der 22. Schwangerschaftswoche, ganz zu schweigen von einem „Schmerzgedächtnis“ nach der Geburt (8).

Die Beschneidung ist als Identifikationsmittel ausgesprochen wichtig. Es ist unbestreitbar, dass der Verzicht auf ein Identifikationsmittel weitreichende Folgen haben kann, es in der Regel sogar stigmatisierend ist, in den die Beschneidung praktizierenden Sozialgemeinschaften nicht beschnitten zu sein. Dieser Umstand allein vermag religiöse Beschneidungen indes nicht zu rechtfertigen. Denn eine Rechtsfrage lässt sich nicht lösen, indem man das Problem auf eine rechtsfreie Ebene verschiebt. Genau das würde aber geschehen, ließe man eine Handlung allein deshalb zu, weil sie eine Tradition darstellt. Das Milieu eines Kindes darf erst recht nicht zum alleinigen Maßstab gemacht werden, wenn es um die Abwehr von Gefahren für das Kind geht, denn sonst hinge es von den Einstellungen und Präferenzen der Gemeinschaft ab, ob minderjährigen Mitgliedern Körperschäden zugefügt werden dürfen. Das gilt in noch stärkerem Maß, wenn sich das Milieu bei Beachtung des Verbots automatisch änderte. Denn je mehr Jungen nicht beschnitten werden, umso weniger wird dieser Zustand Anlass für Stigmatisierung sein.

Rolf Dietrich Herzberg, bis 2003 Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Allgemeine Rechtstheorie an der Ruhr-Universität Bochum, hat die Frage „Wann ist die Körperverletzung durch Zirkumzision gerechtfertigt?“ in einem Aufsatz für die Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ebenso eindeutig beantwortet:

Das Abschneiden der Vorhaut ist eine Körperverletzung, und § 223 StGB macht es grundsätzlich zur Pflicht eines jeden Staatsbürgers, seinem Mitmenschen keine Körperverletzung zuzufügen. Davon gibt es Ausnahmen (etwa für Fälle der Notwehr), aber die Religionsfreiheit begründet keine. Das stellt Art. 140 GG ausdrücklich klar. Denn zum „Bestandteil dieses Grundgesetzes“ macht er den Art. 136 der deutschen Verfassung vom 11.8.1919, und dessen Abs. 1 bestimmt:

„Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“

Den Umfang der Pflichten, die aus den Gesetzen folgen, vermindert also der Umstand, dass wir unsere Religion ausüben, um gar nichts. Oder, was dasselbe ist: Die Schranken, die solche Gesetze unserer Handlungsfreiheit ziehen, verschieben sich im Fall der Religionsausübung um keinen Millimeter. Z.B. wenn eine Frau in der fast leeren Kirche den Rosenkranz betet und Zeuge wird, wie zwei Bänke vor ihr ein alter Mann einen Herzinfarkt erleidet und um Hilfe ruft. Die Hilfe zu
leisten ist dann nach § 323c StGB ihre gesetzliche, also staatsbürgerliche Pflicht, und Art. 140 GG stellt klar, dass sie sich in ihrer Religionsausübung sehr wohl „stören“ lassen
muss, d.h. sich nicht auf eine Rechtfertigung nach Art. 4 Abs. 2 GG („Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“) berufen kann. Es wäre ja auch eine empörende Ungleichbehandlung, wenn in der Kirche die Putzfrau ihr Staubwischen selbstverständlich unterbrechen müsste, die fromme Dame ihr Beten aber ungerührt fortsetzen dürfte.

An anderer Stelle sagt Herzberg:

Die Eltern dienen nicht dem Wohl ihres Kindes, wenn sie zugunsten Dritter ein gesundes Stück seines Körpers amputieren lassen, nämlich zu dem Zweck, dass sich in zwanzig Jahren für etwaige Sexualpartnerinnen das Risiko, an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken, theoretisch-statistisch um ein Beinahe-Nichts verringere.

Nach Herzberg zählt Hannes Stein zu denjenigen, die objektiv für die Missachtung eines Menschenrechts plädieren:

…. Wenn er es – mit Recht! – vermeidet, sich die kulturell-religiöse Scheinlegitimierung zu eigen zu machen, dann aber via präventiv-medizinische Kindeswohlfürsorge die alltägliche Beschneidungspraxis weitgehend doch für rechtens erklärt, dann plädiert er, bei allem guten Willen, objektiv für die Missachtung eines Menschenrechts. Ohne jeden Heilungssinn einem kleinen Kind ein gesundes Stück seines Körpers zu amputieren, das dann lebenslang verloren ist, und sei es „nur“ die Vorhaut oder bei kleinen Mädchen, zum gerechten Ausgleich, weil sie keine Vorhaut haben, ein Ohrläppchen oder eine kleine Zehe, ist ein zum Himmel schreiender, zutiefst unmoralischer Missbrauch der Macht über dieses Kind. Und das Urteil ändert sich nicht, wenn die Anstifter und Täter „zur Ehre Gottes“ zu handeln beanspruchen.[1]

Und zum Schluß noch ein Satz von Christoph Zimmer [12], der mir aus dem Herzen spricht:

Die Verletzung der körperlichen Integrität, noch dazu der von Unmündigen, ist eine eklatante Menschenrechtsverletzung, die in ihrer religiösen Natur eine besondere kulturelle Primitivität und einen beschämenden Mangel an elementarer Humanität erkennen läßt.


Anmerkungen und Quellen

Folgende Personen setzen sich besonders für eine Abschaffung der rituell begründeten Beschneidung ein, die sie als Straftat betrachten:

  • Rolf Dietrich Herzberg ist emeritierter Professor und war bis 2003 Inhaber des
    Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht und Allgemeine Rechtstheorie
    an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.
  • Holm Putzke, Professor für Strafrecht an der Universität Passau
  • Günzher Jerouscheck, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Geschichte des Strafrechts an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
  • Maximilian Stehr, Prof.Dr. med., Facharzt für Kinderchirurgie am Klinikum Innenstadt Kinderchirurgische Klinik , München
  • Prof. Dr. Schroeder,Prof.Dr. Maiwald, Prof.Dr. Maurach in: Strafrecht Besonderer Teil, Teilband 1, 10. Aufl. 8 Rn. 39
  • Detlev Sternberg-Lieben, Prof.Dr.jur. an der TU Dresden
  • Hans Georg Dietz, Prof. Dr. med., Facharzt für Kinderchirurgie in München

(und weitere Ärzte und Juristen, siehe die entsprechenden Fachblätter)

[1] Herzberg, Rolf Dietrich: Religionsfreiheit und Kindeswohl. Wann ist die Körperverletzung durch Zirkumzision gerechtfertigt?, in: ZIS 2010, S. 471 ff.
[2] Homepage von Dr.jur. Holm Putzke
[3] Wikipedia über die Beschneidung von Jungen
[4] Zirkumzision bei nicht einwilligungsfähigen Jungen: Strafrechtliche Konsequenzen auch bei religiöser Begründung
[5] Das wunde Geschlecht: Beschneidung von Knaben, von Claude Jaermann
[6] Circumcision Resource Center
[7] Jewish Circumcision Resource Center
[8] Hannes Stein auf der Achse des Guten: Ein paar Anmerkungen zur Beschneidung von Jungen
[9] Hannes Stein in Welt-Online: Das Zerrbild vom bösen Juden mit blutigem Messer
[10] William Saletan: Mohels to Mozambique
[11] Richard Wagner auf FAZ-Net:Beschneidung
[12] Christoph Zimmer: Über die Beschneidung
[13] Zwangsbeschneidung eines Jungen: Authentischer Bericht einer Mutter
[14] „Liberator“ auf dem Femokratie-Blog zu Hannes Stein

Dieser Beitrag wurde unter Medizin veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

10 Antworten zu Achse des Guten: Hannes Stein preist die Beschneidung von Jungen

  1. Khyber Markhor schreibt:

    Christina Aus der Au Heymann (* 1966 in Luzern) ist eine schweizerische evangelisch-reformierte Theologin und Philosophin. Sie ist Dozentin an der Theologischen Fakultät der Universität Basel und Geschäftsführerin des Zentrums für Kirchenentwicklung der Universität Zürich. Prof. Dr. Aus der Au gehört dem Vorstand des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentags an und ist die Präsidentin des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentags in Berlin und Wittenberg im Jahr des 500. Reformationsjubiläums 2017. […]

    Bei einer Podiumsdiskussion des diesjährigen Deutschen Evangelischen Kirchentags im Festsaal des Roten Rathauses (Offene Gesellschaft – Wo sind die Grenzen der Toleranz) am 27. Mai 2017 warb Aus der Au sinngemäß dafür, die Beschneidung des Geschlechtsorgans eines muslimischen Mädchens zu tolerieren und diese FGM besser durch einen ausgebildeten Arzt durchführen zu lassen als durch einen Laien im Hinterhof; Zitat Christliches Medienmagazin pro:

    Für Menschen, die die Menschenrechte verletzen, dürfe es keine Toleranz geben, sagte Aus der Au. Doch in der konkreten Begegnung etwa mit Muslimen gebe es in der Hinsicht nicht nur schwarz und weiß. Wenn beispielsweise eine Muslima hierzulande mit ihrer Tochter zum Frauenarzt komme, um aus religiöser Tradition heraus deren Schamlippen zu beschneiden, sei das gegen die Menschenrechte. Doch weigerte sich der Arzt, das zu tun, würden sie möglicherweise zu einem „Kurpfuscher“ gehen, der die Gesundheit der jungen Frau gefährde. Deshalb könnte der Arzt den Eingriff gegen seine eigentliche Überzeugung vornehmen und dann gemeinsam mit Betroffenen etwas gegen diese religiöse Praxis unternehmen.

    Die Kirchentagspräsidentin warb dafür, immer im Gespräch zu bleiben. „Ausschluss ist die Ultima Ratio.“ Es gelte, im Dialog das gegenseitige Zuhören einzuüben, sowie davon auszugehen, vom anderen etwas lernen zu können.

    (pro Christliches Medienmagazin 28.05.2017 Kirchentag)

    Zitatende. […]

    Strafanzeige wegen Billigung bzw. Bewerbung der weiblichen Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation, FGM) und wegen Aufruf an Ärzte zur Durchführung der FGM gegen Prof. Dr. Christina Aus der Au, Theologin, Frauenfeld (TG), Schweiz

    470. Kirchentagspräsidentin akzeptiert islamische FGM

    „Wir sind Zeuge der Türöffnung zur Geschlechtergleichheit in der religiösen Kinderverstümmelung. Und nicht nur das, nebenbei wird der Kirchenanspruch, die religiöse Moral über das Strafgesetz und das Grundgesetz zu stellen als selbstverständlich vorausgesetzt.“

    ( Aus der Aus Amputationsambitionen | Demystifikation )

    https://demystifikation.wordpress.com/2017/05/31/aus-der-aus-amputationsambitionen/

  2. Verfassungsbeschwerde Beschneidung schreibt:

    Verfassungsbeschwerde gegen § 1631d BGB
    27. Dezember 2013

    Postalisch sowie per Fax
    an das
    Bundesverfassungsgericht
    Karlsruhe

    Beschwerde gegen das Bundesgesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes

    Am 12. Dezember 2012 hatte die Bundesregierung den Gesetzentwurf über den “Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes” (17/11295) in dritter Beratung verabschiedet. Seit dem Inkrafttreten am 28.12.2012 gilt nach § 1631 d BGB …

    Die Beschwerdeführer legen daher gegen dieses Gesetz Beschwerde ein und beantragen durch eine einstweilige Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG diese Vorschrift sofort außer Kraft zu setzen, um alle medizinisch nicht erforderlichen Beschneidungen, insbesondere Rituale wie Metzitzah B’Peh, pria und Praktiken wie im folgenden Link beschrieben, die sicherlich mit einer Zirkumzision lege artis nicht zu vereinbaren sind, trotzdem aber durchgeführt werden, zu verbieten bis das hohe Gericht über die Verfassungsbeschwerde entschieden hat.

    Die Beschwerdeführer beantragen zudem, die nicht medizinisch indizierte MGM an nicht einwilligungs- und urteilsfähigen Jungen auf die Liste der Auslandsstraftaten zu setzen, um sowohl Beschneidungstourismus zu verhindern als auch die gegebenenfalls erforderliche Strafverfolgung ortsunabhängig zu gewährleisten.

    364. Verfassungsbeschwerde gegen § 1631d BGB

  3. Cees van der Duin schreibt:

    Eva Quistorp (Theologin) hat auf Jacques Auvergne (Sozialarbeiter) geantwortet, heute nachmittag. Beschneiden will die Theologin das betäubte männliche Kind nach wie vor, hier zwei Zitate aus ihrer Begründung; alle Denk- und Rechtschreibfehler sind geistiges Eigentum der Pazifistin und Feministin. Auch ich habe mich eingemischt.

    Quistorp: „Wenn ich es als wohl schwer zu ändernden Fakt aus verschiedenen Grünen anerkenne, dass wohl bei der Lage der Debatte und der Aufregung des Zentralrates der Juden und der Muslime, die mit SChlagworten wie Vertreiben und Verbieten Panikmache gemacht haben,das KÖlner Urteil nicht zu bundesweitem Recht werden wird ,habe ich nur eine Realität beschrieben und mir das nicht gewünscht. … Ich glaube, das judentum hat in seiner prophetischen udn liberalen Tradition mehr zu bieten als die bisherige BEschneidungsdebatte und der ISlam mit IBn Rushd und ABu Zaid mehr als KOpftuch, Burka, Beschneidungszwänge und gar SCharia in Europa“

    http://schariagegner.wordpress.com/uber/#comment-1900

    ::

    Eva Quistorp (August 23, 2012 um 3:27 nachmittags, kommentiert auf dem Blog Schariagegner) windet sich wie ein Aal – und hat schon wieder nicht gesagt, dass sie die rituelle Vorhautamputation nicht will. Sie ist unsachlich genug, dem Sozialpädagogen Jacques Auvergne öffentlich zu unterstellen, ihren Beitrag falsch gelesen zu haben, entkräftet dessen prinzipiell beschneidungsgegnerische Argumente aber mit keiner Silbe.

    Theologin Quistorp verbreitet vielmehr einen amorphen Wortschwall aus irgendwelchem reformerischen Potential in den Hochreligionen verwirbelt mit irgendwie bedauernswerten bundesdeutschen Sachzwängen, implizit und wenig zufällig gipfelnd im sinngemäßen Fazit: „An einer Legalisierung der Jungenbeschneidung kommt die BRD nicht vorbei!“ Wie öffentlichg bekannt billigt Quistorp auch heute die nicht medizinisch indizierte Beschneidung. Und nichts anderes hat der pazifistische Sozialpädagoge und Beschneidungskritiker der pazifistischen Theologin und Beschneidungsfreundin vorgeworfen.

    Die beschneidungsbegünstigende Feministin könnte jetzt entweder so ehrlich sein, wiederholt sinngemäß: „Ja, ich will die MGM, aber nur mit Betäubung!“ zu sagen, das ist schließlich die nachweisbare Essenz ihres Essays Wider die postmoderne Religionspolitik, oder aber müsste endlich die Seite wechseln und öffentlich dafür eintreten, dass es in der kulturellen Moderne kein Elternrecht auf operative Mutilation des Kindergenitals gibt, aber eine Pflicht des Staates, dem Kind ein Selbstverständnis, Körperwahrnehmen und Sexualitätserfahren mit unversehrten eigenen Genitalien zu ermöglichen.

    Vielleicht um Halacha und Scharia zu entsprechen oder um Halacha und Scharia nicht zu widersprechen weicht Quistorp hingegen aus; wie eingangs gesagt: sie windet sich wie ein Aal. Das ist argumentativ unredlich und für mich als Naturschützer, Pazifist und Jungenarbeiter, der einmal geglaubt hat, sich in der Partei der GRÜNEN wieder zu finden, ziemlich enttäuschend.

    Immerhin ist klar, wer hier die Debatte zwischen dem Sozialpädagogen und der Theologin zum Thema Beschneidung gewonnen hat – argumentativ, ethisch und vielleicht schon bald ja auch juristisch.

    Cees van der Duin

    ::

  4. Khyber Markhor schreibt:

    Die Feministin, Ex-Europapolitikerin und GRÜNEN-Mitgründerin Eva Quistorp will die Jungenbeschneidung legalisieren, solange das vorher heile und hinterher rituell versehrte Kind nur ausreichend medikamentös betäubt ist sprich unter Drogen steht; dafür bekommt die gewaltverharmlosende so genannte Pazifistin eine herzhaft gepfefferte Kritik:

    Wenig paradiesisch: Eva und die Vorhaut
    Von Jacques Auvergne am 08.08.2012

    298. Pazifistin Quistorp für Beschneidung von kleinen Jungs

  5. Khyber Markhor schreibt:

    Petition gegen rituelle Beschneidung an Minderjährigen
    20. Juli 2012

    Text der Petition

    Der Deutsche Bundestag möge beschließen, Personensorgeberechtigten jede rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung eines Jungen (Zirkumzision) oder eines Mädchens (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) im Hinblick auf die Verwirklichung der körperlichen Unversehrtheit des Kindes oder Jugendlichen bis zu dessen Volljährigkeit zu untersagen. Um dem Individuum die Option auf ein Leben mit unversehrten Genitalien und mit der Option auf eine selbstgeschriebene Biographie zu ermöglichen, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung, ob eine lebenslange Sexualität mit oder ohne Präputium (Junge) oder Klitorisvorhaut (Mädchen) verwirklicht wird, möge der Bundestag beschließen, in das Bürgerliche Gesetzbuch Buch 4 Familienrecht Abschnitt 2 Verwandtschaft Titel 5 Elterliche Fürsorge § 1631 Inhalt und Grenzen der Personensorge einzufügen:

    § 1631d
    Verbot der rituellen Genitalmutilation

    Die Eltern können nicht in eine rituelle, medizinisch nicht indizierte Beschneidung ihres Sohnes (Zirkumzision) oder ihrer Tochter (nach der Typisierung der World Health Organisation die FGM vom Typ I, II, III, IV) einwilligen. Auch das Kind selbst kann nicht in die Beschneidung einwilligen. § 1909 findet keine Anwendung.

    297. Petition gegen die Beschneidung des männlichen oder weiblichen Kindes

  6. Feldheld schreibt:

    Ein beeindruckendes Pladoyer. Bisher war ich komplett unentschieden. Jetzt eher für ein Beschneidungsverbot. Aber ich halte es für nicht durchsetzbar.

  7. Auchgut schreibt:

    Nach den Urteil des Kölner Landgerichts schreibt Hannes Stein aktuell auf der Achse des Guten einen Artikel nach dem anderen über dasThema. Die Verbissenheit mit der er dabei längst widerlegte, „wissenschaftliche Gründe“ für die Beschneidung bringt, wirkt auf mich erschreckend. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese scheinbare Obsession allein mit jüdischem Glauben zu tun hat.

  8. Pingback: Religulous « arprin

  9. Befreier schreibt:

    Für jeden Cent, den man zur Prävention von Mädchenbeschneidung in Deutschland ausgibt, müsste ein ganzer Euro zur Prävention von Jungenbeschneidung in Deutschland ausgegeben werden.

    Ich sage dies nicht in der Absicht die weiblichen Beschneidung zu verharmlosen, sondern weil die männliche Beschneidung einfach so viel häufiger durchgeführt wird.

    Ich habe die neuere Diskussion auf Facebook verfolgt. Diese Simone Schwaz war richtig mies.
    Unwillig oder unfähig zu diskutieren, wollte sie jede Diskussion abwürgen.

    Führende Aktivistinnen gegen Mädchenbeschneidung, die schon gegen die Beschneidung von Mädchen kämpften als Fräulein Schwarz noch nicht mal geboren war, und die weibliche Beschneidung oder Genitalverstümmelung erst zum öffentlichen Thema machten, wie Soraya Miré, und Hanny Lightfoot-Klein und Fran Hosken (gst. 2006) setzen sich zwischenzeitlich (seit mehreren Jahren/Jahrzehnten um genauer zu sein) auch gegen die Beschneidung von Jungen ein.

  10. Guy Sinden schreibt:

    Sehr guter Artikel!
    Und es ist noch eine Menge Aufklärungsarbeit zu leisten!
    Und man kann sich fragen, wie man in 20-30 Jahren über diese Wahnsinnige Praxis urteilen wird.
    Die ersten Grünen wurden als Spiner abgetan. Wenn man Heute ggen Beschneidung militiert, muss man auf einiges an Verunglipfung gefasst sein.

Hinterlasse einen Kommentar