Beim Schlendern durch einen Bonner Buchladen fiel mir vor kurzem dieses Buch von Coco Schumann auf. Es war vor allem der Titel „Der Ghetto-Swinger“, der mich faszinierte, und nach einem Blick auf die Rückseite war es klar für mich: dieses Buch mußt du sofort kaufen und lesen. Denn auf der Rückseite hatte Schumann folgende Kurzbeschreibung seiner Person hinterlassen:
Ich bin Musiker. Ein Musiker, der im KZ gesessen hat, kein KZler, der Musik macht. Ich habe viel zu sagen. Die Richtung ist klar: Back to the roots, in jene Welt, in der meine Seele zu Hause ist, in den Swing. Wer den Swing in sich hat, ob er im Saal steht oder auf der Bühne, kann nicht mehr im Gleichschritt marschieren.
Gesagt, getan: die Geschichte der Jazzlegende steht nun in meinem Bücherregal und hat mich beim Lesen stark beeindruckt – und stellenweise begeistert. Ich gebe im folgenden einen kurzen Überblick über den Inhalt und empfehle jedem Jazzfan und am Holocaust und der Judenverfolgung durch die Nazis Interessierten den Kauf dieses spannenden Buches.
Kurz nach der Machtergreifung der Nazis 1933 bekam das Berliner Geschäft der jüdischen Mutter von Coco Schumann Besuch von zwei SA-Angehörigen. Diese malten einen Judenstern an die Scheibe und versperrten der Kundschaft den Weg. Denn daß anständige Deutsche sich von einer Judensau die Haare schneiden lassen würden – das konnte man als aufrechter Nationalsozialist nicht dulden. Und so kam es, daß die Eltern von Coco Schumann, dem späteren Ghetto-Swinger, beschlossen, in eine etwas vornehmere Gegend Berlins zu ziehen, wo sie sich vor den Zugriffen der SA sicherer fühlten.
Und was machte der Ghetto-Swinger da? Er wehrte sich – schon als Jugendlicher – gegen die HJ-Grüppchen, denen er in Berlin häufig begegnete, indem er seine im jüdischen Sportclub Bar Kochba erworbenen Box-Fähigkeiten in der Praxis anwandte. Das bewahrte ihn allerdings nicht vor dem Gang ins KZ. Im Frühjahr 1943 sollte er eigentlich nach Auschwitz transportiert werden, konnte aber durch seinen Vater vor diesem Schicksal zunächst bewahrt werden. Dieser wurde nämlich mit seinem Arier-Ausweis beim Kriminalobersekretär Walter Dobberke vorstellig, der für die Deportation der Berliner Juden zuständig war.
(Links: Schumann im Interview im ARD alpha-forum, 21.02.2017, 13:00 Uhr)
Und Schumanns Vater schaffte es doch tatsächlich, daß sein damals 18-jähriger Sohn erst einmal nach Theresienstadt kam, in jenes „Vorzeige-KZ“, das sogar von einer Kommission des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) am 23. Juni 1944 besucht wurde, welches an den Zuständen im Lager aber anscheinend nichts auszusetzen hatte. Denn: die Täuschung der Komitees des IKRK gelang unfaßbarerweise perfekt. Coco Schumann bemerkt hierzu: Vielleicht wollten sie so genau auch nicht Bescheid wissen?
Auf jeden Fall konnte Schumann aufgrund seiner vielseitigen musikalischen Fähigkeiten schon bald als Schlagzeuger bei der Lagerband, den „Ghetto-Swingers“, unterkommen. Als Mitglied dieser Band ist Schumann auch kurz in dem Nazi-Propagandafilm
Theresienstadt: Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet zu sehen, aber all das bewahrte ihn nicht vor dem Abtransport nach Auschwitz im September 1944, als man begann, das „Vorzeigelager“ Theresienstadt allmählich aufzulösen.
Und dort, in Auschwitz, stand Coco Schumann dann an der Rampe vor Josef Mengele. Dieser fragte ihn, wie alt er sei. Der kurze Dialog zwischen Mengele und Schumann verlief folgendermaßen:
Ich nahm Haltung an, legte die Hände an die nicht vorhandene Hosennaht (Anmerkung: er war ja nackt!) und sagte: „Zwanzig Jahre!“ Er schaute mich kalt an und fragte weiter: „Beruf?“ Nun guckte auch ich ihm direkt in die Augen: „Klempner und Rohrleger, Herr Hauptsturmführer!“
Daraufhin wies ihn der „Hauptsturmführer“ nach rechts, d.h. auf die Seite derer, die nicht sofort ins Gas geschickt wurden, sondern noch eine Weile für ihre Peiniger arbeiten durften. Und das tat er dann auch, aber eben auf seine Weise. Und er hatte dabei auch viel Glück: denn schon am ersten Abend in Auschwitz spielte er Reeperbahnlieder und Paul-Lincke-Melodien vor dem Lagerältesten, was alsbald auch bei der SS gut ankam.
Begleitet wurde Schumann u.a. von Otto Sattler, einem berühmten Bargeiger aus Prag, mit dem zusammen er aus Theresienstadt nach Auschwitz gekommen war. Beide standen eines morgens am Zaun ihres Lagers und schauten hinaus auf die Hauptstrasse, auf der ein Zug von Neuankömmlingen aus Theresienstadt sich in Richtung des „Hauptsturmführers“ Mengele bewegte, um von ihm entweder nach links, in die Gaskammer, oder nach rechts, in eines der Arbeitslager eingewiesen zu werden. Und:
Plötzlich erstarrte Sattler. Seine Frau und seine 5 Kinder gingen an ihm vorüber. Nur durch den Zaun getrennt warfen sie sich einen letzten Blick zu, unaufhaltsam bewegte sich der entsetzliche Zug der „Selektierten“ weiter. Otto schaute ihnen nach und konnte nichts tun.
Abends musizierten wir wieder vor unserem Lagerältesten. Als Otto seine Tränen nicht mehr zurückhalten konnte, herrschte dieser ihn an: „Warum heulst du denn die ganze Zeit – das kann einem ja die Laune verderben!“ Otto erzählte ihm, was vorgefallen war, doch es hinterließ keinen großen Eindruck: „Na, das ist doch kein Grund zu Weinen. Schließlich wirst du sie bald schon wiedersehen!“ Wir waren alle innerlich aufgewühlt, doch wir machten weiter….
All diese Szenen aus Schumanns Berichten sind beeindruckend – und noch viele andere mehr mit Schilderungen über die Rettung seiner Mutter vor den Zugriffen der Gestapo, seine Versuche, nach dem Krieg in Deutschland wieder Jazz zu machen, monatelange Ausflüge auf Schiffen zusammen mit anderen Musikern – es lohnt sich also garantiert, dieses Buch komplett durchzulesen.
Am besten fand ich aber seine Bemerkungen am Ende des Buches, auf den Seiten 220 und 221. Dort berichtet Schumann über einen „warmen Sommerabend auf der Terrasse eines Restaurants. Am Nebentisch hatten sich mehrere jüngere und äußerst heitere Menschen versammelt“. Schuman gab eine Runde nach der anderen aus, es wurde viel gelacht, aber das hörte dann auf, als sich die Gespräche in den politischen Bereich bewegten.
Denn nun beklagten sich diese netten jungen Menschen auf einmal über das „Ausländerproblem“ oder darüber, daß das Reinheitsgebot zwar für deutsches Bier gelte, nicht aber für das Volk der Völker. Seine Gesprächspartner ärgerten sich darüber, daß es schon wieder Schwierigkeiten mit dem Weltjudentum gebe. Sie sprachen über das alte Märchen von den KZs, dem Gas und den Öfen, schließlich wisse doch jedes halbwegs kluge Kind, daß Auschwitz eine einzige große Lüge sei,
Dies war für Schumann der Anlaß, sich flugs von seinen Gesprächspartnern zu verabschieden, und zwar mit diesen Worten:
Meine Damen und Herren, es tut mir furchtbar leid, ich möchte Ihnen nicht den schönen Abend verderben. Aber ich weiß es besser. Ich war da.
Das wars. Und Schumann schließt das Buch mit den Worten:
Ihre Reaktion wartete ich nicht mehr ab. Ich drehte mich um, ging fort, bummelte durch die nächtliche Stadt und pfiff mir mein Teil…
Anmerkungen und Links
[1] Swing-Legende Coco Schuman ist tot
[2] Swing-Musiker Coco Schuman ist tot
[3] KZ-Überlebender Coco Schuman ist tot
[4] Nachruf auf Coco Schuman
[5] Coco Schuman gestorben
[6] Ghetto-Swinger – Eine Jazzlegende erzählt
[7] Yad Washem Eintrag zu Walter Dobberke
[8] Das KZ Theresienstadt
[9] Die unvergesslichen Sprüche des Coco Schumann
[10] alpha-Forum: Coco Schumann, Jazz-Musiker und Gitarrist