Der Tag begann so schön: pünktlich um 7.09 fuhr der ICE 501 in Siegburg auf dem Bahnhof ein ohne durchzustarten. Dankbare Fahrgäste bestiegen den Zug und wurden ohne technische Störungen, Verzögerungen, umgefallene Baukräne oder vereiste Signale mit der Höchstgeschwindigkeit von 300 Km/h zum Frankfurter Flughafen gebracht. Selbst der Anschlußzug, der EC 25, war überraschend pünktlich da und brachte uns Pendler unverzüglich zum Frankfurter Hauptbahnhof. Nur 2 Stunden Anfahrtweg von Haus zu Haus: wer hätte das gedacht, daß wir das nach den vergangenen Chaoswochen noch einmal erleben durften!
Doch man soll den Tag nicht vor dem Abend loben: ein nur zu wahrer Spruch. Folgen wir den Ereignissen der Rückfahrt an diesem Abend und lassen uns in das Reich der unergründlichen technischen Störungen der Deutschen Bahn entführen! Gegen 17:15 machte ich mich zu Fuß (eine der zuverlässigsten Bewegungsarten) auf den Weg zum Hauptbahnhof Frankfurt. Um 17:30 traf ich dort ein und ging flugs zum Gleis 6, wo ich den IC 2024 besteigen wollte, der planmäßig um 17:44 in Richtung Flughafen fahren sollte. Doch dort am Bahnsteig stand schon der uns sattsam bekannte Hinweis: ca. 10 Minuten Verspätung….
Ha, dachte ich, mich kriegt ihr nicht! Ich weiß Bescheid! Eilte also durch die Erfahrungen der vergangenen Wochen gewitzt zum Gleis 21, wo auch schon die S8 darauf wartete, mich und einige andere Siegburger Pendler zum Flughafen zu bringen. Dort konnten wir denn auch schon um 17:50 der S-Bahn entsteigen, um uns quer durch den Flughafen an den Fluggästen und den vielen uniformierten Wachen vorbei zum Fernbahnhof zu begeben.
Auf der Abfahrtstafel des Gleises 6, wo eigentlich um 18:09 der ICE 504 uns nach Siegburg bringen sollte (Ankunft in Siegburg: 18:46), stand aber der lapidare Hinweis: ca. 30 Minuten Verspätung.
Nun teilte sich die Menge der Pendler nach Siegburg: die einen wanderten per Rolltreppe wieder in die Wartehallen des Flughafens, um dort auf den zahlreichen nicht vorhandenen Sitzgelegenheiten Interessantes in ihrer Zeitung zu lesen oder sich noch schnell einen Kaffee zu gönnen, die anderen setzten sich ergeben auf eine der vorhandenen holzgetäfelten Sitzbänke am Bahnsteig 6, und die ganz unzufriedenen Pendler stauten sich vor dem kleinen Bahnsteigbüro auf Gleis 6, wo sich 2 Bedienstete um sie kümmerten.
Diese sprachen nun aufgeregt in ihre Handys, tippten in die Computer Befehle ein, und versuchten herauszubekommen, wann der nächste Zug nach Siegburg fährt, während die empörten Fahrgäste auf sie einredeten. Nach 10 Minuten endlosem Palaver (wir können nichts genaues sagen, nehmen Sie den nächsten um 19:09, aber der hat auch Verspätung usw.) entfernte ich mich und ließ mich auf einer Bank, der holzgetäfelten, nieder zwecks Lektüre noch unerfreulicherer Dinge in einem gewissen Wochenmagazin.
Etwa um 18:17 fuhr hinter mir ein anderer ICE auf Gleis 7 ab, in Richtung Brüssel….Ich ahnte schreckliches, suchte vergeblich nach den Pendlern, die eben noch auf dem Bahnsteig gestanden hatten und ging zu den zwei Bediensteten, welche mir mitteilten, daß sie den Zugführer des eben auf Gleis 7 abgefahrenen ICE 10 nach Brüssel dazu überredet hätten, einen Zwischenstop in Siegburg einzulegen. Es sei aber keine Zeit mehr gewesen, diesen Sachverhalt über Lautsprecher den übrigen über den Bahnhof verteilten Siegburger Pendlern mitzuteilen.
Ja, so war es. Doch man wolle versuchen, einen anderen Zug zum Halt in Siegburg zu bewegen…inzwischen waren wieder einige Pendler auf dem Bahnsteig eingetroffen, die nun dachten, die 30-minütige Verspätung nähere sich ihrem Ende, und waren gar nicht davon erbaut, daß ein Teil ihrer Kollegen mit einem anderen Zug schon nach Siegburg gebraust war. Wir warteten also und warteten und warteten und bewegten uns nicht mehr weg vom Bahnsteig, tauschten in der Wartezeit die diversen traurigen Erlebnisse mit dem ICE auf dieser Rennstrecke aus, und tatsächlich kam der ICE 504, der eigentlich um 18:09 hätte abfahren sollen, dann um 19:05 am Frankfurter Flughafen Fernbahnhof Gleis 6 an.
Nun dachten wir alle erleichtert, es ist überstanden, gleich sind wir zu Hause und können uns im Kreise der Anverwandten und Freunde dem Abendessen bzw. dem, was davon übrig ist, widmen. Doch weit gefehlt: nun fing das Elend erst so richtig an. Wir brausten los in Richtung Siegburg und legten in Limburg und Montabaur nicht geplante Zwischenhalts ein, weil die vorangegangenen Züge, die dort hätten anhalten müssen, ebenfalls schon ausgefallen waren. Man ist ja solidarisch untereinander! Gegen 5 Minuten vor 20 Uhr waren wir in Montabaur und fuhren dort erst um 20:10 weiter. Keine Durchsage, kein Kommentar der Zugführung….aber wieso fuhr unser Zug nun auf einmal so langsam? War der Zugführer etwa eingeschlafen??? Nach einer Schleichfahrt von 10 Minuten kam die Durchsage, daß man wegen eines Signalfehlers die Geschwindigkeit stark reduzieren müsse und daher würden weitere Verspätungen entstehen.
Um die teils aufgebrachten, teils sich in ihr Schicksal ergebenden Fahrgäste ein wenig aufzumuntern, ging nun ein Schaffner durch die Wagen, der 10-Euro Gutscheine verteilte und versuchte, die Gemüter zu beruhigen mit der Bemerkung, die Verspätung habe schon in Emmendingen bei Freiburg angefangen, wo man durch einen Personenunfall (Amtssprache für Selbstmord) aufgehalten wurde. Nachdem wir also solchermaßen ruhiggestellt auf unseren Sitzplätzen wieder dazu übergingen, unsere Erlebnisse mit der deutschen Bahn AG auszutauschen, war es plötzlich so weit: der Zug fuhr gar nicht mehr. Er stand.
Er stand einfach so da auf offener Strecke, und dann fuhr er im Schneckentempo weiter, 1 Meter pro Sekunde, man hätte nebenher rennen können und wäre schneller gewesen. Stemmte sich etwa Supermann von vorne gegen den Zug? Waren wir in einen Hefeteig gefahren? Nichts dergleichen, der Lautsprecher teilte uns mit, diesmal sei es ein Schaden an der Oberleitung, der den Zugführer dazu zwinge, mit Schrittgeschwindigkeit die nächsten 6 Km zu fahren. Wir atmeten auf: endlich konnten wir unsere verschütteten Algebra-Kenntnisse aus der Schulzeit wieder aktivieren und ausrechnen, wie lange unser Zug brauchen würde, um diese 6 Km mit seiner neuen Höchstgeschwindigkeit von 2 Metern pro Sekunde zurückzulegen…
Kaum hatten wir diese aufregende Diskussion abgeschlossen, beglückte uns das Fahrpersonal mit einer erneuten Durchsage (es war inzwischen 21:00 Uhr): wir seien alle recht herzlich zu einem Sandwich und einem nicht-alkoholischen Getränk eingeladen (hatten sie etwa Angst vor alkoholisierten randalierenden Fahrgästen ?). So strebten also von 2 Seiten kommend die hungrigen und durstigen Fahrgäste ins sog. Zugbistro, wo aufgrund der sehr schmalen Gänge nun natürlich ein neuer Stau entstand: eine Menschenschlange, die lieber zu Hause am Abendbrottisch säße als sich jetzt mit pappigen Bundesbahn-Sandwiches abfüttern zu lassen. Während wir uns dort geduldig in der Warteschlange weitere lustige Erlebnisse mit der Deutschen Bundesbahn erzählten, quetschte sich ein 2.mal der Schaffner mit den Gutscheinen durch die Menge: denn jetzt hatten wir schon mehr als 90 Minuten Verspätung, und dafür gabs noch mal 25 Euro. Macht zusammen 35 Euro. Das zweimal die Woche, es wurde schon wieder gerechnet….
Derweil brauste auf dem benachbarten Gleis ein Zug nach dem anderen in Richtung Siegburg an uns vorbei, während wir mit unserer amtlich durch Lautsprecher bekannt gegebenen Höchstgeschwindigkeit von 2 Metern pro Sekunde versuchten, der 6 Km Herr zu werden, die wir noch zurücklegen mußten, bevor wir wieder mit fast Lichtgeschwindigkeit weiterbrausen würden. Der gutgelaunte Gutscheinverteiler (wer Geschenke verteilt, wird nur selten dafür verdroschen) hatte jetzt nur noch 4 Gutscheine über und stoppte verschämt vor dem 1.Klasse Abteil. Nein, meinte er, da wolle er doch lieber nicht rein, die würden ihn womöglich in der Luft zerreißen, sprachs und verteilte die 4 Gutscheine an die ihn umstehenden, die nun schon wieder rechnen mußten: 10 + 25 +25 =?? Einige Fahrgäste überlegten schon, ob das nicht ein guter Stundenlohn sei…
Nachdem alle Sandwiches aufgegessen waren, begab man sich wieder auf die Sitzplätze, wo wir dann den Augenblick der Rückehr zur normalen Fahrgeschwindigkeit so gegen 21:50 erleben durften. Auch unser Zugführer fand dies bemerkenswert und teilte uns diesen Sachverhalt alsbald über Lautsprecher mit. Und um 22:00 waren wir dann auch schon in Siegburg! Draußen auf dem Bahnsteig fielen sich die Leute in die Arme, man wartet ja schließlich nicht jeden Tag 4 Stunden auf die lieben Anverwandten auf dem Bahnsteig!
So fand dieser Tag seinen krönenden Abschluß, und ich war erleichtert, daß es dann zu Hause auch gleich weiterging, hatte sich doch dort ein Lieferwagen vor meine Garage gestellt, dessen Fahrer in den umliegenden Häusern auch nach einer viertelstündigen intensiven Rausklingelei der zum teil schon im Bettgang befindlichen Nachbarn nicht aufgetrieben werden konnte… Aber das ist eine andere Geschichte…